Big Shit Posse wird im Sommer 2019 von dem erfahrenen Berliner Schlagzeuger & Komponisten Aldtie Mann gegründet. Die Band besteht aus einer dynamischen Mischung von starken Charakteren der Berliner Musikszene und kreiert einen energetischen Sound mit Improvisationen, die über stringent komponierte Skizzen entfesselt werden. Dabei erkundet sie eine gewisse Auswahl an Genres, wobei eine intensive Verbindung zu den Wurzeln des Jazzrock besteht. Elektronische Elemente und Funk, Blues oder Metal werden ebenso betrachtet, wie poetische Texturen. Sei's drum. Das Ensemble entfaltet seine bestechende Bühnenpräsenz mit einer Art von Energie, die bestimmte Grenzen angreift und andere wiederum nicht! Mit Temperament, Übersicht & Vermögen wird eine originäre Musik im Universum des Jazz beschworen.
Big Shit Posse is founded in the summer of 2019 by experienced Berlin-based drummer and composer Aldtie Mann. The band consists of a dynamic mixture of strong characters of the Berlin music scene, and creates an energetic sound with improvisations that are unleashed over stringently composed sketches. It explores a certain range of genres, while it retains an intense connection to its Jazzrock roots. Electronic elements and Funk, Blues or Metal are considered, as well as poetic textures. So be it. The ensemble unfolds its compelling stage presence with irresistible energy, that attacks certain boundaries and yet others not! With temperament, overview, and ability, an original music is being invoked in the universe of Jazz.
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ALH von Purple Eternity Records im Gespräch mit Musiker Aldtie Mann von der Big Shit Posse. Im Frühjahr 2021 veröffentlicht der neue Berliner Act seine ersten beiden Alben auf dessen Independent-Label.
ALH: Aldtie Mann, herzlich willkommen und danke für Deine Zeit, ich freue mich sehr über diese Möglichkeit mit Dir ins Gespräch zu kommen. Wir beide sind Musiker, Du studiert und ich selbst gelernt. Uns trennen 30 Jahre an Erfahrung, sowohl im Leben als auch speziell in der Musik. Aus welchem Grund, oder welchen Gründen wenn es mehrere gibt, hast Du Dich dafür entschieden Dein neues Projekt Big Shit Posse auf meinem Label Purple Eternity Records herauszubringen, einem Label, das sich grade erst in der frühen Phase des Aufbaus befindet?
Genau wegen dieses Aufbruchs vielleicht. Ich sehe es als ein gemeinsames Projekt im Aufbau. Ich denke, wir haben in der kurzen Zeit unserer Zusammenarbeit schon viel gegenseitige Inspiration erfahren. Unser Meinungsaustausch ist stilsicher und gegenwärtig. Wir können über alles sprechen. Wir haben maximale künstlerisch - ökonomische Freiheit bei Dir. Das heißt, wir können sofort produzieren, müssen uns nicht limitieren. Du veröffentlichst sehr zeitnah alle Tracks, von denen wir gemeinsam überzeugt sind, und Du tust es eben genau nicht, wenn irgendjemand Bauchschmerzen von uns hat. Wir sind hier also auch objektiv geborgen in deiner Kritikfähigkeit. Das schätze ich außerordentlich! Andererseits können wir Dich zielsicher unterstützen bei der Kuration deines Labels durch unsere Kontakte zur Berliner und deutschen Musikszene.
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Erzähle mir mehr von Dir. Dein bisheriges Musikerleben ist keine reine Jazzbiographie. Was waren Deine musikalischen Schlüsselerlebnisse?
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Das unscheinbarste war gewiss das Hineinwachsen in eine musikalische Familie. Ich habe den heimischen Plattenschrank durchstöbert und zu Allem getrommelt, was der so hergegeben hat. Das war ein ziemliches Sammelsurium. Ich kam einfach drauf, weil ich nachmittags alleine zu Hause war und mich beschäftigen wollte. Später dann habe ich das eher als Schocks wahrgenommen: Gustav Mahlers „5. Sinfonie“ zum Beispiel, oder Morton Feldmans „Piano & Orchestra“, Miles Davis „Bitches Brew“ oder Captain Beefheart „Shiny Beast“. Das sind so einige.
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Das heißt, es gibt noch andere?
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Ja sicher, viel mehr. Man durchforstet die Musik als ein umfassendes Phänomen, das sich als interessant und vielversprechend zeigt und trifft ganz unvermittelt auf solche Ereignisse. Mit umfassend meine ich hier wirklich all die ethnischen Musiken, die sogenannte Klassische Musik, die zeitgenössische Neue Musik und die Spielarten von Blues sowie die daraus entstandenen Formen im 20. Jahrhundert. Aber diese ganzen Abstufungen will ich jetzt nicht mehr vornehmen. Das ist irgendwann vorbei. Es ist eine Riesenarbeit, die andererseits ganz organisch abläuft über Jahre. Es ist besser, das ins Unterbewusste sinken zu lassen. Die Tradition ist unglaublich. Sie wirkt von ganz allein.
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Du sagst, die Tradition wirkt von ganz allein. Aber gibt es dann noch ein Verhältnis zu ihr und wenn ja, wie sähe dies dann aus?
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Das ist eine interessante Frage. Es ist ein zweiseitiges Verhältnis, welches unablässig mit sich selber spricht. Darum ist und bleibt es auch ein spannungsvolles Verhältnis. Ich möchte zum Beispiel, dass Diesseits und Jenseits zusammengehören, dass wir unser Gedächtnis behalten, dass wir eine Brücke spannen ins Jenseits, auf der wir hin und her wandeln können. Da nehme ich mir auch mal 4 Steinchen also Töne weg, lege sie auf eine Gedenkstätte und sage: Schau her, wir haben etwas von Dir genommen und damit gespielt. Ich weiß nicht, ob das recht war. Aber wir wissen, wo wir es weggenommen haben und geben es zurück in der Hoffnung, dass Du es gar nicht bemerkt hast.
Einerseits kann ich mich mit meinen musikalischen Fragen an die Tradition wenden und erhalte sofort eine spezifische Antwort. Andererseits nützt sie mir wenig, wenn ich mitten in der praktischen Kompositionsarbeit stecke und dort grad nicht weiterkomme. Da kann ich nirgendwo nachschauen wie's geht, denn mein Kompositionsproblem ist ein spezifisches, ein originäres. Es ist ort-, zeit- und materialgebunden. Das gibt es dann kein 2. Mal. Ich muss also selber forschen vor diesem riesigen musikalischen Background, der ständig mit mir spricht und auch reinredet. Das ist das Verhältnis. Ein sehr dynamisches. Ich vertraue etwas der Tradition an und sie misstraut mir zunächst. Dann stelle ich ihr ein Ergebnis vor und sie beginnt, mir etwas zu vertrauen. Daraufhin misstraue nun ich ihr ein wenig und fange etwas Neues an. Es bleibt also spannend.
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Wie arbeitest Du überhaupt? Wie kann man sich das vorstellen? Kannst Du beschreiben wie so ein Prozess aussieht, oder ist es zu indiskret Dich danach zu fragen?
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Ich kann das mal versuchen. Allerdings weiß ich vorher auch nicht wie's geht. Und wenn's vorbei ist, weiß ich nicht mehr wie ich es gemacht hab. Außerdem passiert etwas dabei, was ich ja gar nicht kontrollieren will. Aber sicher habe ich gewisse Methoden, um in Schwung zu kommen. Die erste ist Spielen. Spielen, Spielen, Spielen. Improvisieren. Ich improvisiere. Mit dem Klavier, mit dem Schlagzeug oder mit Samples. Oder ich höre Sprache auf der Straße, oder beschissene Musik im Radio. Egal. Alles inspiriert mich, wenn ich das will. Das ist für mich alles Spielzeug. Ich spiele und ich will nur spielen. Das meine ich in der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs aus der Kindheit. Das Spiel kennt keine Verantwortung, kein Ziel, keinen Zweck.
Dann wird es etwas ernster, weil ich beginne Aufnahmen zu machen von diesem Spiel. Und ich kann darauf wetten, dass es sofort befangener wird, wenn ich den Record Button gedrückt habe. Ich fühle mich beobachtet. Aber egal, da muss ich durch. Einfach weitermachen. Das Kriterium ist nur, dass es aus meinem Körpergeist entspringt. Ich muss es original so gespielt haben und alles Material muss die ursprüngliche, menschliche Geste enthalten. In diesem Fall meine. Irgendwann bin ich der Meinung, dass es vollkommen egal ist welches Material ich recorded habe. Es gibt an dieser Stelle sozusagen eine erste Ent-Personalisierung. Ich gebe auf und lasse das von mir Gespielte einfach stehen. Das sieht dann genauso aus, wie ein verlassener Kriegsschauplatz im Kinderzimmer. Entscheidend ist, dass niemand aufräumt, denn ich gehe nun ein bisschen Bier trinken. Nicht aus Frust, sondern zur puren Belohnung, dass ich schon so weit gekommen bin.
Dann zünde ich Stufe 3 und beginne die Resultate zu analysieren. Ich wechsle also radikal meine Position und werde zum Musikwissenschaftler. Die Materialsammlung ist beendet und ich analysiere meine Improvisationen nach einer eventuell immanenten Logik. Gibt es diese überhaupt, oder ist das Schwachsinn, oder sehe ich diese immanente Logik noch nicht. Hier entdecke ich des Öfteren Dinge, die ich tatsächlich noch nicht kannte. Oder ich entdecke Dinge, die mir vollkommen entfallen waren. Oder ich entdecke Dinge, die ich sehr gut kenne, aber nicht wiedererkannt habe.
Stufe 4 ist dann das eigentliche Komponieren. Also das Anordnen in vertikaler und horizontaler Form. Das ist wiederum ein mehr spielerischer Vorgang. Auch hier weiß ich noch nicht, wie ich das machen will, bzw. welches Komponieren dem Material am gerechtesten wird. Trotzdem habe ich so ein paar Spielchen entwickelt, auf die ich probeweise zurückgreifen kann.
Das Bildhauern: Wegnehmen, Abschlagen, Form herausschlagen.
Das Kindergärtnern: Motive miteinander spielen lassen, freie Motivwahl.
Das Klempnern: Was nicht passt, wird passend gemacht.
Das Blühen: Ich wachse, ich wachse, ich wachse. Ich strebe nach der Sonne.
Na gut, jetzt wird das Unsinn, weil es wirklich total vereinfacht erzählt ist. Tatsächlich weiß ich nicht genau, was jetzt passiert. Es gibt das neue Material, es gibt meinen musikalischen Erfahrungshorizont und es gibt etwas Drittes. Diese Dinge fechten etwas miteinander aus. Am Ende weiß ich nicht mehr wie das abgelaufen ist. Das ist die Wahrheit. Das musst Du mir glauben. Das kann man sich nicht merken. Aber das Schöne ist, dass ich beim nächsten Mal von vorne anfangen kann. Es gibt keinen Trick. Es gibt nur Magie, und die ist das Gegenteil von Trickserei, obwohl sie diese mit einschließen kann. Noch so ein Paradox. Ich hoffe, ich habe das etwas transparent ausdrücken können.
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Nun das war sehr ausführlich, und setzt ein gewisses Maß an Selbstreflexion voraus. Wie kommt es vor diesem Hintergrund dazu, geloopte Samples als Fundament für die Kompositionen und auch Live- Performances einzusetzen? Was ist dabei die Idee?
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Naja, Samples einzusetzen ist noch keine Idee, jedenfalls keine musikalisch ausreichende. Sie sind für mich ein Arbeitsmittel, wie ein weiteres Instrument. Technik an sich hat nichts mystisches. Ich komme aber vom Schlagzeug und kann plötzlich mit Klangfarben schon im Vorfeld arbeiten, die dann mitspielen. Das ist ganz reale Musik. Was wir machen ist Folgendes: So ein Loop ist bei uns etwas Längeres, oftmals 7-9 Minuten lang. Er schafft also eine Form und er schafft eine Ästhetik in dem wie er klingt. Weil ich Spaß am Komponieren habe, verkürzt er den Weg zu dem von mir gewünschten Ergebnis. Wir können gleich loslegen und uns zu der Struktur verhalten. Das ist ein Gedanke, der mir gefällt. Es gibt eine fundamentale Struktur und wir müssen uns zu ihr verhalten. Da bleibt alles möglich. Das ist eine Reibungsfläche. Sie verlangt uns aber auch Distanzen ab.
Zweitens eröffnet mir diese Technik mehr Freiheit im Arrangement. Wenn ich z.B. ein Gitarrenriff haben will, so muss ich Gerry das nicht schrubben lassen. Sie kann uns gewisse Arbeiten abnehmen.
Und drittens ist die klangliche Komponente keinesfalls zu unterschätzen. Samples können heutzutage alles sein. Ich kann mit den Samples in jedwede Richtung gehen, seien es freie Texturen, Heavy Metal, Percussiontracks, orchestrale Klänge. Bedeutsam ist nur, dass meine musikalische Sprache sich entwickelt und ich beobachte, ob diese Entwicklung konsistent bleibt. Und das sollte sie, egal mit welchen Mitteln wir gerade arbeiten. Das ist jedenfalls mein Anspruch.
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Mich interessiert die Zusammenarbeit in der Band. Was passiert da? Wer sagt was und wann, wie werden Deine Stücke aufgenommen. Ist das eher demokratisch oder eher nicht?
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Generell ist das erst einmal nicht demokratisch. Allerdings sind es auch keine Stücke im akademischen Sinne, die es zu erfüllen gilt. Es sind Skizzen, die mal ausführlicher, mal rudimentär ausfallen. Der Begriff der Skizze ist zentral, weil es sich hierbei nicht um Werke handelt, sondern um Vorschläge dazu, Werke gemeinsam zu schaffen. Bis zu dem Punkt, an dem ich sie offenbare und wir sie zum ersten Mal ausprobieren, bleibt es Diktatur. Ich versuche im Vorfeld mit der größtmöglichen Sorgfalt zu arbeiten. Trotzdem muss ich manchmal nachbessern und würde auch keine einzige Veränderung akzeptieren durch Andere bis zu diesem Punkt. Was danach kommt ist Anarchie. Zumindest für mich.
Also ich meine das absolute Loslassen. Auf der Bühne muss diese Skizze unter Beweis stellen, dass sie zu einer kollektiven Improvisation taugt. Sie muss sich musikalisch verhalten. Da interessiere ich mich nur noch für die Musiker. Und die Skizze ist sozusagen die siebente Person, denn die sechste Person ist ja schon der Loop und es schwirren noch weitere Geister mit im Raum, die ich mal mit Acht, Neun und Zehn beziffere. Was passiert nun also? Ich bin absolut konzentriert auf mein Schlagzeugspiel und wie es sich anfühlt in unserer entstehenden Musik. Jetzt muss eine Verwandlung kommen, und dafür braucht man ganz spezifische Musiker. Musiker mit einem starken Charakter, mit einem sehr starken Charakter. Erst dann kann das Big Shit Posse-Musik werden, und es ist nicht mehr feststellbar, wie sie entstanden ist. Die Anteile von uns fünf Musikern am Ergebnis sind jedes Mal anders gewichtet.
Also doch demokratisch. Aber eben nicht als Postulat, sondern als bewältigter Prozess.
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Was ist das, was Dich am Jazz so interessiert, bezogen auf die durchaus unterschiedlichen Einflüsse, die Du vorher genannt hast.
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Zunächst die Improvisation. Obwohl Improvisation alleine noch nicht zwingend Jazz ergibt. Trotzdem: Es ist das unmittelbare musikalische Handeln, welches sofort zu Ergebnissen führt in einem Kollektiv, die nicht mehr revidierbar sind. Alles zählt.
Dann die Energie, die kommen muss und die sich in der Haltung auf der Bühne offenbart. Da strebe ich eine höchste Konzentration an, die einfach den Fluss der Dinge im Auge behält. Und das ist der Puls, der Groove. Für mich entscheidende Komponenten, die darauf verweisen, dass das Ganze etwas mit Bewegung zu tun haben muss. Das wäre die afrikanische Herkunft.
Dann das beschwörerische Element aus dem Blues mit seinen Wiederholungsformeln, weil es da ja um den Text geht. Hier gehören aber auch sämtliche anderen ethnischen Backgrounds hinein. Dann kommt die individuelle Behandlung dieser Dinge durch die einmalige Musikerpersönlichkeit hinzu mit ihrer ganz persönlichen Erfahrung und Eigenart. Dann gehört da auch das lokale Milieu hinein, in dem die Musik entsteht, in dem die Band handelt. Also eine Art sozialer Abtönung. Das sind, glaube ich, die unverzichtbaren Bestandteile dieser Kunstform. Sicher könnte man noch mehr nennen, aber nicht ohne diese Grundlagen.
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Ich verstehe. Was aber macht nun die Faszination aus, dass Du genau mit diesen Mitteln arbeiten willst, in genau dieser Musikform? Du hast ja auch andere Möglichkeiten gehabt.
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Ich hatte 30 Jahre als Komponist für's Theater gearbeitet und in unterschiedlichen Bands gespielt. In dieser Zeit habe ich sehr genau all die populären aber auch nicht populären Musikformen wahrgenommen. Am Jazz liebe ich seine Philosophie und die daraus entstehenden Spielformen. Nach meiner Ansicht geht es bei ihm um die Vielfalt von musikalischen Sprachen und deren Nebeneinander in einem kulturellen Kosmos. In so einem Konzept sehe ich mich gern vertreten. Das ist ein zutiefst humanistisches Konzept, und in seiner Reproduktion eben auch sehr demokratisch und vollkommen pluralistisch. Daher halte ich Jazz eigentlich für eine Art universaler Gebrauchsmusik, von der es gar nicht genug geben könnte. Er sollte seine Erfüllung in der Verschmelzung archaisch-körperlicher Elemente mit geistig-konzentrativen suchen und das dann live einlösen. Diese Art der Abendunterhaltung wäre im Übrigen völlig plausibel in jeder Dorfkneipe und auf den größten Bühnen der Welt. Er muss eine integrative Wirkung haben, die sämtliche Abspaltungen in komische Tanz- und Schlagermusik einerseits und überkonstruierte Abstraktionsformeln andererseits verhindert.
Somit würde Jazz aber eine andere Art der Party, der Feier und des Konzerts heraufbeschwören. Er müsste ganz visionär aus sich selbst heraus der Gesellschaft immer wieder diese Frage vorlegen: Wie verbringt Ihr Eure Abende? Wie wollt Ihr feiern? Wollt Ihr weiterhin Körperliches und Geistiges voneinander trennen? Oder wollt Ihr eine Gebrauchsmusik, die Euch für voll nimmt und meinetwegen drei mal die Woche vom Hocker reißt.
Damit ist er eher Teil eines zukünftigen Gesellschaftsmodells, weil die Musikindustrie nicht auf die Integration solcher Bedürfnisse setzt, sondern auf deren abspaltende Konfektionierbarkeit und anschließend bequeme Befriedigung dieser in den entsprechenden Marktsegmenten. Und das ist eine ganz grundsätzliche Kritik, die ich der kapitalistischen Produktionsweise vorwerfe! Hier liegt ein Grund, weshalb Jazz in unserer gesellschaftlichen Formation so stark unterrepräsentiert ist. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit.
Denn andererseits hat er sich in wesentlichen Idiomen selbst schon dieser Zerteilung hingegeben. Also es gibt diese ganzen Erscheinungen von Popmusik auf originären Jazzfestivals und es gibt die Szene, die seit Jahren in der Ecke vor 15 Leuten ihren Avantgardismus reproduziert. Das sind zwar bewusste Entscheidungen der Subjekte und man könnte im Sinne der oben genannten Vielfalt sagen, was hast du denn, das ist doch die Vielfalt. Ich beobachte aber eher, dass diese Positionen sich voneinander abgewandt haben und eine Kommunikation nicht mehr suchen. Nach meiner Ansicht gefährdet dies das ganze Genre, weil damit eines der produktivsten Spannungsmomente entfernt wird. Das zwischen Ich und Du, Sender und Empfänger. Der Pop-Jazz setzt sich ungefragt auf mein Sofa, streichelt mein Knie und fragt: Na, findest du mich heute nicht auch so schön wie ich mich selbst? Der Avantgarde-Jazz rumpelt unten im Schuppen vor sich hin und schreit: Komm bloß nicht rein, wir haben hier allerwichtigste Dinge auszuhandeln!
Ich kritisiere das.
Denn ich glaube fest daran, dass solches zusammen gedacht werden muss, und Big Shit Posse wird genau da angreifen. Das ist zwar eine politische Ansage von mir, aber das kann man schon mal machen. Ich trage so etwas nicht täglich vor mir her. Wie wir das tun werden, bleibt der Hauptgegenstand unserer musikalischen Arbeit.
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Okay, ist angekommen. Was würdest Du jungen Leuten mit auf den Weg geben, die es ernsthaft mit der Musik versuchen wollen?
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Hört euch alles an, dessen Ihr habhaft werden könnt. Beobachtet dabei, wie lange Euch eine Musik zu faszinieren vermag. Tut das sehr ausdauernd und konsequent. Bildet Euch eine Liste in der Ihr die folgenden Antworten ankreuzt: Fünf Sekunden. Zehn Minuten. Eine Stunde. Ein Tag. Eine Woche. Ein Monat. Ein Jahr. Sieben Jahre. 21 Jahre. Ein ganzes Leben. Dann reflektiert, wo bei Euch die meisten Kreuze stehen und inwiefern das etwas mit Euch oder den Musiken zu tun haben könnte. Des Weiteren sorgt Euch um eine fundierte Allgemeinbildung & unterscheidet Wichtiges von Unwichtigem. Achtet auf Euer Handwerkszeug. Das wär's schon.
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Zum Schluss noch eine Frage, die mir gerade noch so durch den Kopf geht. Wir beide haben sehr eng zusammen an den beiden ersten Alben von Big Shit Posse gearbeitet. Du hast mich auch tief in Deine Musik eingreifen lassen, in der formgebenden Endproduktion konnte ich stark mitwirken. Bei der visuellen Darstellung der Band gab es auch eine sehr enge Zusammenarbeit. Inwieweit regt eine solch weitreichende Zusammenarbeit die Kreativität für Neues an? Wie wertvoll sind diese neuen Blickwinkel auf das eigene Werk?
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Nun ich finde, dass so etwas unabdingbar zu einer professionellen Einstellung und Arbeit gehört. Wir treiben unsere Musik bis zu dem bestimmten Punkt, an dem ihr Profil unumkehrbar geworden ist. Dann wird sie einer Vertrauensperson zur Verfügung gestellt. Das bist Du. Du übernimmst die Rolle eines Lektors, wie z.B. im Literaturbetrieb. Es ist der wichtigste Punkt vor der eigentlichen Veröffentlichung. Es gibt eine Reflexion und weitere Ausgestaltung von dritter Seite. Das hat bei uns zu einer deutlichen Steigerung in der Klarheit der musikalischen Aussage geführt. Und es ist eben sehr entscheidend wer das macht, mit welchen Beweggründen und mit welchem Rüstzeug. Hier bin ich absolut zufrieden und glücklich mit Deiner Arbeit, wenn ich das mal sagen darf. So eine Zusammenarbeit regt vor allem die Motivation an. Alle Blickwinkel und Anregungen die von Dir gekommen sind, hielt ich für äußerst wertvoll. Ich möchte gern so weitermachen. Denn das dritte Album ist ja schon in Arbeit.
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Danke für das Kompliment, ich freue mich sehr auf unsere weitere Zusammenarbeit! Vielen Dank für dieses Gespräch.
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Ich danke auch, sehr gerne.
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